Der Völkerbund der Irokesen Freigegeben 2003-10-09 22:23:11 von mirakulisa. Nach einem Beitrag von Mirakulisa.
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Sechs Nationen verbünden sich - und prägen die Verfassung der USA
»Iroquoia«, das Territorium der sechs Irokesenstämme, reichte einst von North Carolina bis hoch nach Quebec und im Westen bis Ohio. An einem Junitag des Jahres 1744 verhandelten in dem kleinen Ort Lancaster in Pennsylvania britische Kolonialherren mit Indianern über die Abtretung von Land.
Ein mitreißender Redner ergriff das Wort. Es war Canasatego, ein etwa sechzigjähriger Häuptling der Onondaga. Er empfahl den Europäern eine Union nach dem Vorbild seines Volkes. "Unsere Vorväter", sagte er, "haben uns zu einer Konföderation vereinigt und uns damit zu ungeahnter politischer Kraft verholfen". Canasatego sprach lange und pries die politischen Vorzüge jener Verfassung, die sich »Großes Gesetz des Friedens« nannte. Sie vereinte die sechs Nationen der Mohawk, Onondaga, Oneida, Cayuga, Seneca und Tuscarora zum Völkerbund der Irokesen.
Vierzehn Tage dauerte die Vertragskonferenz. Während der Gespräche und Verhandlungen machten Vertreter der Regierung von Virginia den Irokesen einen Vorschlag: Zwölf junge Indianer sollten auf einem College in Williamsburg vier Jahre lang in den gängigen Wissenschaften unterrichtet werden. Die Indianer überdachten das Angebot einige Tage und lehnten dann ab.
Canasatego gab folgende Begründung: "Ihr, die ihr klug seid, müßt wissen, daß verschiedene Völker unterschiedliche Auffassungen von Dingen haben; und ihr werdet es uns deshalb nicht verübeln, wenn unsere Vorstellungen von dieser Art Bildung nicht mit der euren übereinstimmt." Der Indianer wies darauf hin, daß schon früher mehrere junge Leute seines Stammes Schulen der nördlichen Provinzen besucht hatten. "Sie wurden in allen euren Wissenschaften unterrichtet, aber als sie zu uns zurückkamen, waren sie schlechte Läufer, wußten nicht mehr, wie man im Wald lebt, konnten weder Hunger noch Kälte ertragen, wußten nicht, wie man einen Hirsch zerlegt, eine Hütte baut oder einen Feind tötet. Sie sprachen schlecht unsere Sprache, waren daher weder als Krieger noch als Jäger oder Berater tauglich. Sie waren zu überhaupt nichts mehr nütze." Canasatego schloß mit den Worten: "Wir sind euch trotzdem für euer freundliches Angebot zu Dank verpflichtet und wollen euch daher unsererseits ein Angebot machen: Wenn die Herren Virginias uns ein Dutzend ihrer Söhne schicken wollen, werden wir für deren Erziehung sorgen, sie in allem unterrichten, was wir wissen, und Männer aus ihnen machen."
Auf der Seite der Gesandten von Virginia, Maryland und Pennsylvania saß ein 38jähriger Mann und schrieb eifrig mit. Er war Schriftsteller und arbeitete als Buchdrucker für die Regierung von Pennsylvania. Später sollte er als Erfinder des Blitzableiters sowie als federführender Autor der amerikanischen Verfassung (neben Thomas Jefferson) in die Geschichte eingehen: Benjamin Franklin.
Der Völkerbund der Irokesen hatte es ihm angetan, und er schien ihm als Vorbild für seine eigene Nation geeignet. "Sechs Nationen unwissender Wilder", so Franklin, "waren offenbar fähig, die richtige Staatsform zu finden und sie zudem in einer solchen Weise zu praktizieren, daß sie Jahrhunderte überdauert und absolut unzerstörbar erscheint. Da wäre es doch seltsam, wenn eine solche Union nicht auch für zehn oder zwölf englische Kolonien anwendbar wäre, für die es außerdem weit notwendiger ist."
Die Union der Irokesen, der Bund der Sechs Nationen besteht auch heute noch, trotz der Eroberung der Weißen. Die Irokesen selbst nennen sich Haudenosaunee - Menschen des langen Hauses. Das mit Ulmenrinde gedeckte und verschalte Langhaus war die trditionelle Wohnstätte, in der mehrere Familien eines Clans zusammenlebten. Jeder Clan wurde von einer älteren Frau, der Clanmutter, angeführt; das Totemtier des Clans war über dem Eingang eingeritzt. Innen gab es Hochbetten, Kochstellen und Lebensmittellager.
Die Siedlungen bestanden aus rund 50 Langhäusern. Jedes Dorf war von Palisaden eingezäunt. Dahinter lagen Felder, auf denen Frauen Mais und Bohnen anbauten. Die Ernte wurde von den Männern eingebracht. Als Krieger zogen sie immer zu Fuß durch die Wälder. Einziges Transportmittel war das Rinderkanu.
In jeder Irokesengemeinde steht - ähnlich unserem Rathaus - an einem zentralen Platz ein Langhaus. Es ist Ort politischer, religiöser und sozialer Zusammenkünfte. Entscheidungen werden hier in jeder Versammlung erst dann gefällt, wenn Einstimmigkeit erreicht ist. Mehrheitsbeschlüsse sind in den Augen der Haudenosaunee undemokratisch, weil die Argumente der Minderheit nicht den endgültigen Beschluß mitprägen.
Wie andere Indianerstämme haben die Irokesen eine enge Beziehung zur Tierwelt. Sie zeigt sich in den Clans: Die Mohawk-Nation hat zum Beispiel Bär-, Wolfs- und Schildkröten-Clans. Innerhalb einer solchen Großgemeinschaft dürfen keine Ehen geschlossen werden.
Jeder Clan entsendet bis zu drei Mitglieder in den großen Rat. Er setzt sich aus 50 Volksvertretern (Royaneh) zusammen. Die Wahl der einzelnen Vertreter bleibt den Clanmüttern überlassen. Sie wachen auch darüber, daß die Royaneh ihr Amt nicht mißbrauchen, sich nicht bereichern und im Langhaus den Ton bewahren. So gilt es als unanständig, einen Sprecher zu unterbrechen. Hat er seine Rede beendet, wird er gefragt, ob er noch etwas anfügen will, bevor eine andere Person das Wort ergreift.
Die Frauen haben die Macht einen Royaneh auch wieder abzusetzen - enthornen nennt sich dieser Akt, dem drei Verwarnungen vorausgehen. Dabei muß der von seinem Amt Enthobene seinen Kopfschmuck ablegen: ein Geweih, das Symbol für Antennen zur geistigen Welt.
Schon immer hatten die Frauen der Irokesen die Verfügungsgewalt über alle Nahrungsmittel, auch über die von den Männern beschaffte Jagdbeute. Durch ihre Kontrolle der Wirtschaft konnten die Indianerinnen Nahrung für Versammlungen, Zeremonien und Kriegszüge bereitstellen - oder verweigern.
Nicht immer ging es bei den Irokesen so zivilisiert zu. Vor rund 2000 Jahren zerfleischten sich die Mohawk, Cayuga, Oneida, Seneca und Onondaga - obgleich verwandt - in brutalen Kämpfen. Sie übertrafen sich gegenseitig in Foltermethoden und Kannibalismus. Erst als der Prophet Deganawidah hatte das Blutvergießen ein Ende. Der Legende nach erschien der Friedensstifter in einem weißen Kanu aus Stein.
Deganawidah pflanzte im Land der Onondaga eine Kiefer, unter deren Wurzeln die Kriegswaffen begraben wurden.
»Das Kriegsbeil begraben« - eine Wendung in unserem Sprachgebrauch, die an diesen historischen Moment erinnert. Das Jahr dieser Begebenheit ist nicht bekannt; die Indianer betonen aber, daß die Kiefer vor der Ankunft von Kolumbus auf dem neuen Kontinent (1492) gepflanzt wurde.
"Dies ist der Baum des Friedens", sprach Deganawidah. "Über diesem Baum wird zu allen Zeiten der Adler schweben und über das Wohl der Konföderation wachen." Das Bild gefiel den Gründervätern der USA, und sie übernahmen den Weißkopf-Seeadler in ihr Staatswappen.
Das Land derOnondaga, südlich der Stadt Syracuse im Bundesstaat New York, ist heute noch eine souveräne Insel - fast wie das Dorf des Asterix im römisch besetzten Gallien. Die Souveränität Onondagas wird von sämtlichen US-Behörden respektiert. Der Sheriff der Stadt Syracuse weiß, daß er die Grenze nach Onondaga nicht ohne Einverständnis des obersten Häuptlings (er trägt den Titel Tadodaho) überschreiten darf.
Als im 18. Jahrhundert immer mehr Weiße nach Nordamerika kamen, wurden die Indianer nicht nur durch Kämpfe und bisher unbekannte Krankheiten geschwächt. Auch europäische Zivilisationsimporte wie Bibel, Violine, Whisky und Glücksspiel fanden ihre Anhänger.
Und dann gewann ein Mann an Einfluß, von dem die Langhaus-Häuptlinge heute sagen, er sei nur biologisch ein Mohawk gewesen: Thayendanega, mit englischem Namen Joseph Brant.
Er sprach Griechisch und Latein, ging sonntags zur Kirche, spreitzte beim Teetrinken den kleinen Finger ab und reiste 1710 zu Queen Anne nach London. Joseph Brant war ein Produkt englischer Interessen.
1777, im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, verbündeten sich die Mohawk, Cayuga, Seneca und Onondaga mit der britischen Kolonialmacht. Die beiden übrigen Irokesenstämme, Oneida und Tuscarora (letztere wurden 1722 in die Liga aufgenommen), wechseltn dagegen zu den Aufständischen über, die die Unabhängigkeit von Großbritannien verlangten. Diese Spaltung sollte die sechs Nationen auf lange Zeit lähmen.
Als am 3. September 1783 der Unabhängigkeitskrieg beendet war, wurden die Irokesen von beiden Seiten nicht mehr gebraucht und durften nach Hause gehen. Doch dieses Zuhause war längst zum Objekt neuer Expansionspläne geworden. Das Territorium der Weißen hatte sich inzwischen verdoppelt. Als George Washington, erster Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, 1794 die Souveränität der Six Nations anerkannte, lebten südlich der kanadischen Grenze nur noch 4000 Haudenosaunee. Viele Irokesen waren nach Kanada abgewandert. Um zum Großen Rat nach Onondaga zu gelangen, mußten die Häuptlinge nun fremdregiertes Land durchqueren.
Als sich 1920 in Genf der Völkerbund formierte, entsandten auch die Irokesen einen Vertreter in die Schweiz. Sie wollten einen Sitz in diesem Gremium der souveränen Nationen. Persien, Irland, Estland und Panama erklärten sich 1923 bereit, den Antrag zu unterstützen. England und Kanada erfuhren vorzeitig davon und tobten; die Regierung in London schickte eindeutige Drohungen nach Teheran, Dublin, Tallin und Panama City. Desgaheh, der aus Kanada stammende Irokesen-Vertreter, wurde nie gehört.
Während er in Genf weilte, entfernte Kanada mit Polizeigewalt die Langhaus-Regierung in Osweken, wo die kanadische Fraktion der Sechs Nationen ihren Sitz hatte. Die Nachricht von der brutalen Entmachtung brach Desgahehs Ausdauer. Krank kehrte er heim, doch Kanada ließ ihn nicht einreisen. Am 27. Juni 1925 starb der Indianer in Tuscarora, unweit der kanadischen Grenze, ohne seine Heimat noch einmal gesehen zu haben.
Das beginnende 20. Jahrhundert sah die Häuptlinge und Krieger der Irokesen häufig in luftigen Höhen. Dank Schwindelfreiheit und Teamgeist fanden die Indianer im Stahlhochbau ihre Nische im Industriezeitalter. Kein Wolkenkratzer in Chicago, Philadelphia oder New York, bei dessen Montage nicht Irokesen beteiligt waren. Noch heute ist der "Iroquois Steelworker" ein unter Weißen wie Indianern angesehener Beruf.
Ist die Arbeit getan, gehen die Männer zurück in die kleinen Parzellen von Iroquoia und nehmen ihre traditionellen Rollen in der Langhaus-Gesellschaft ein. Manchmal reisen sie nach Europa, wobei sie nicht US-Pässe, sondern die ihrer Nation dabei haben. Die Irokesen verweigern die amerikanische Staatsbürgerschaft. Immer wieder besuchen Delegierte die Menschenrechtskommission der UNO in Genf. Dort erzürnen sie mit ihrer Demonstration der ungebrochenen Souveränität die Regierungen von Kanada und den USA.
Doch auf der Kontinuität der indianischen Kultur liegen Schatten: Mit Alkohol und christlichen Sekten haben sich auch Drogen und Glücksspiel neben dem Langhaus eingenistet und unter den Haudenosaunee zu neuen Spaltungen geführt. Der Sonderstatus des Reservats erlaubt Kasinos, obwohl die Gesetzgebung des Bundesstaates New York öffentliches Glücksspiel verbietet.
Noch eine andere Sorge beschäftigt die Alten: Mit dem Schwinden der Sprache ist das Überleben der Kultur bedroht. Nur zwanzig Prozent der rund 60.000 Irokesen beherrschen noch die eigene Sprache. Die Jugendlichen erleben die Welt in Englisch. Selbst viele Eltern kennen die Sprache ihrer Ahnen nicht mehr.
Auch ökologische Katastrophen machen vor dem Langhaus nicht halt. Die "Schildkröteninsel", wie die Irokesen den nordamerikanischen Kontinent seit jeher nennen, ist vergiftet. Die Schildkröten im Land der Mohawks haben durch nahegelegene Aluminiumfabriken einen so hohen PCB-Gehalt, daß ihr Fleisch als Sondermüll behandelt werden muß. |
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